Brigitte Baumgart - Fotografie       Projekte
   
 

 

 

STIMMEN AUS DEM UNORT

Landschaften und Porträts in der Geschichte der Fotografie zeichnen, wenn sie gelungen sind, mitunter ein schärferes Bild des Zeitgeschehens, als konkrete Dokumente. Gelungen meint, dass es sich um phänomenologische Vorbetrachtungen und/oder Zustände handelt, deren Wirkung man eher verspürt, als dass man sie exakt erklären kann. Möglicherweise erahnt man im Ausloten zwischen Intensität und lautlos kaum spürbaren Empfindungen die eindrücklichere Erfahrung von Wahrheit oder Prophezeiung.
Brigitte Baumgart fotografiert in serieller Weise als narrative Sammlerin. Die Methode der Serie bei Brigitte Baumgart ist zwar konkret aber sie umkreist auf indirekte Weise ihre Themen, um mit dem Betrachter zu kommunizieren. Das Narrative kann als Archivierung dienen, in der Vervollständigung eines Gedankens liegen oder es versteht sich im Abhandeln verschiedener Fragen als Navigation.

Trotz verschiedener Sujets behauptet sich im Bild eine eingeschlossene Stimme nach Draußen zum Betrachter hin: in subtil dramatischer Weise geht etwas Unsichtbares vor sich. Es ist nicht das Ereignishafte, was im Zentrum ihrer Arbeiten steht - es ist der lange und tiefe Blick in das Wesen der Dinge oder in die Seele des Menschen - der diese polarisierende Wirkung hat. Brigitte Baumgart nähert sich sehr vorsichtig und mit Sorgfalt ihrer Umgebung. Die Personen, die sie fotografiert sind ihr vertraut, ebenso Objekte im unmittelbaren Umkreis oder Landschaften..

ENTORTUNGSARTEN

Der Blick kann unscharf sein, sich einbrennen, entfärben – wie bei den Landschaften oder sich laut und affizierend verbreiten – zu sehen bei einigen Porträts. Und dennoch ist das Gesicht des Menschen gleich dem der Natur, in diesem Fall - das des Baumes. Wir erblicken hier kein Spektakel im Wald. Aber was wir sehen, beunruhigt uns. Aus zunächst geläufigen Motiven erhebt sich ein Astarm, auf einem anderen Bild wuchert das Geäst zu einer Mauer oder ein runder Ausblick durch Baumkronen im Himmel ertrinkt plötzlich in verwaschenen Tönen.

Das Setting des zweiten Blicks evoziert in uns drastische Kammerspiele von Wagnerschen Ausmaß. Eine gewöhnliche Trauerweide metastasiert und droht das gesamte Bild zu verschlingen, etwas Undefinierbares steht in Flammen – spätestens jetzt fallen die großen existenziellen Fragen ein. Es ist nicht klar, ob etwas bevorsteht oder bereits geschehen ist. Den Baumlandschaften wohnt ein kartografisches Vermessen inne und wir assozieren Cormac Mc Carthys „Die Straße“ oder Filmstills von Tarkowski. Die Technik von Langzeitbelichtung und Farbentsättigung bewirkt ein Oszillieren zwischen den Zeiten oder anders gesagt, wir erkennen beim Betrachten nicht mehr wo und wann wir sind.

Jene Unsicherheit ist ganz anderer Natur als die Binärkultur der digitalen Bildsprache, unserer zweiten Muttersprache. Diese, unsere gehetzte Wahrnehmung eilt den Gedanken stets voraus, in Hochgeschwindigkeit und scharfen Schnitten von Link zu Link und erfasst simultan und komplex, notwendigerweise lediglich Splitter von etwas. Das digitale Format absorbiert alles gleichermaßen scharf, farbig und zweidimensional. Die Navigation in jener Welt ist eine andere. Solcher und ähnlicher Gedankenbefall beginnt bei der Betrachtung der Fotografien.

Von Heisenberg wissen wir um die Unschärfe des Ergebnisses beim Messen qua Fokusierung. In Brigitte Baumgarts Arbeiten entwickelt sich daher ein Metaebene, die Landschaft wird zur Subjektive. Aber sie – die Landschaft scheint in einer Zwischenebene zu schwimmen, im Entwicklerbad der Unvollkommenheit. Sie blüht nicht wirklich, sie schweigt oder ist erstarrt. Sie zeigt sich beschädigt oder inkontinent morbid schwebend und trotzdem ist in ihr eine aufbäumende Kraft enthalten, die mahnend und eindringlich nachwirkt. Diese verschlossene passive Kraft aus der Erde, dem Wald, dem anderen Wissen lässt die Bäume sprechen. Trauer und Wut sind zu spüren, die in einen Dialog treten wollen, hingegen zeigen die Porträts von Brigitte Baumgart eine andere Innenwelt, die von den Landschaften längst abgetrennt ist. Diese Porträts dokumentieren menschliche Eigenschaften im Erleben - ausgedehnt oder im Zeitraum eines Wimpernschlags.

Die analoge Fotografie, der sich Brigitte Baumgart verpflichtet, befördert unsere Aufmerksamkeit vom Bildpiktogramm der digitalen Formate weg und wir durchlaufen eine kontemplativ eskapistische Zone. Wir treten auf eine andere Stufe zurück und das kann zu spannenden Einblicken führen.

@sylvia john

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